Am 30. November 2021 veranstaltete das „Centre for Research on Successful Ageing“ (ROSA) der „Singapore Management University“ (SMU) sein erstes jährliches Symposium. Ursula Staudinger wurde eingeladen, den Hauptvortrag zu halten und an der Podiumsdiskussion teilzunehmen. Aufgrund der unsicheren Entwicklungen rund um die Omicron-Variante konnte sie nicht nach Singapur reisen, sondern nahm online teil.
Das Thema der Veranstaltung lautete „Neuanfänge – älteren Erwachsenen ermöglichen, in der endemischen Phase zu gedeihen“. Der Übergang in eine neue Phase der globalen Pandemie führt auch in Singapur zu großer Unsicherheit in der Bevölkerung darüber, was die Zukunft bringt. Das Land hat eine rasch alternde Bevölkerung und viele ältere Erwachsene hatten bisher Schwierigkeiten, die Pandemie zu bewältigen. Daher bedarf es eines proaktiven Ansatzes zur Gestaltung der Zukunft zum Wohle der Gesellschaft.
Mehr gesunde Jahre
In ihrem Leitvortrag betonte Staudinger, dass es eine Ehre für sie sei, mit ROSA verbunden zu sein. Sie freue sich darüber, dass sie über mehrere Jahre zur Entwicklung des „Singapore Life Panels“ beitragen konnte. „Für mich war Singapur schon immer eine vorbildliche Gemeinschaft und Nation darin, wie man das Altern angeht und wie man es optimiert“, sagte sie.
Staudinger teilte ihre neuesten Forschungsergebnisse mit den Teilnehmenden in ihrem Vortrag „The Positive Plasticity-Paradigm: Re-Thinking Human Aging“. „Im Hinblick auf die durchschnittliche Lebenserwartung kann menschliches Altern noch weiter optimiert werden, wenn wir die Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit verbessern“, stellte sie fest. „Und wir sprechen nicht nur von mehr Jahren, sondern von gesünderen Jahren.“ Staudinger erwähnte jedoch auch, dass es je nach sozioökonomischen Bedingungen große Unterschiede in Bezug auf die Zugewinne an Lebenserwartung innerhalb der Länder gebe. „Das zeigt uns, wie modifizierbar das menschliche Altern ist.“
Gesellschaftliches Umfeld ist entscheidend
„Das Altern des Menschen ist nicht vorherbestimmt“, so Staudinger weiter. „Vielmehr handelt es sich um ein sehr komplexes, mehrstufiges dynamisches System.“ Um das menschliche Altern zu verstehen, müsse man die drei Komponenten „Organismus“, „Person“ und „Kontext“ untersuchen. Diese drei Faktoren interagieren miteinander und beeinflussen den Alterungsprozess. „Das gesellschaftliche Umfeld, das wir gemeinsam schaffen, hat einen massiven Einfluss darauf, wie wir altern“, betonte sie. Anders als allgemein angenommen, beeinflusst die Genetik das Altern hingegen nur um etwa 20 Prozent.
Laut Staudingers Forschungen ist die Interaktion zwischen jüngeren und älteren Erwachsenen ein wichtiger Motivationsverstärker, der beispielsweise die Gehirnfunktion erhöht. Wenn Menschen älter werden, geben sie ihre Erfahrungen gerne an die jüngere Generation weiter. Daher sollten auch Gesellschaften des längeren Lebens und insbesondere Arbeitgeber entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Dabei sei jedoch entscheidend, dass sich ältere Erwachsene in einer generationenübergreifenden Arbeitsumgebung geschätzt und nicht gehemmt oder gar „veraltet“ fühlen. Denn dies hätte eine demotivierende Wirkung.
„Leider ist die COVID-19-Pandemie ein Faktor, der das menschliche Altern destabilisiert“, sagte Staudinger. „Die Pandemie ist nicht nur ein großes Risiko für die körperliche Gesundheit der Menschen, sondern beeinflusst auch unsere gesellschaftliche Struktur und führt zur Isolation, insbesondere der Älteren in unserer Gesellschaft.“ Wenn es älteren Menschen an sozialen Impulsen, emotionaler Unterstützung und körperlichem Kontakt mangelt, ist ihr Wohlbefinden und ihr Überleben gefährdet. Daher sollte man bei der Bewältigung der Pandemie dieser letzten Lebensphase besondere Aufmerksamkeit schenken. Denn sie wird wahrscheinlich nicht so schnell vorbei sein.